Ich muss sagen, hier zu sein, in Lissabon einer Stadt, die so sehr seine Lebensunterschiede zeigt, ist schon krass

Author

Sven Kaven - Gründer WeWalkNow

Achtsam Vollgas geben, Tag 6 Lissabon

von | Okt. 24, 2019 | Fotografie, Kreativität & Poetry, Lissabon, Mindfulness, Portugal

Einer der Gründe, warum ich in Portugal bin, ist, soziale Projekte fotografisch zu begleiten.

Aber hey, wir sind in Portugal – und hier dauert alles etwas länger. Für mich bedeutet das vor allem eines: Geduld üben. Und ehrlich gesagt, Geduld war noch nie meine stärkste Seite. Es überrascht mich also nicht wirklich, dass mich das Leben genau darauf hinweist. Herzlich willkommen, Ungeduld.

Es ist gar nicht so einfach, die nötigen Zusagen für die Fotosessions in den Projekten zu bekommen. Schließlich geht es darum, Menschen in sehr persönlichen, teils herausfordernden sozialen Situationen zu fotografieren. Hier sind Kinder und Erwachsene involviert, oft aus benachteiligten Verhältnissen – und natürlich steht ihr Schutz an erster Stelle. Doch wenn man genau hinsieht, merkt man, dass die Menschen, besonders im Umgang mit Kindern, eine bemerkenswerte Wärme und Direktheit zeigen.

Was meine ich damit?

Ganz einfach: Es ist hier völlig normal, dass Lehrer oder Betreuer Kinder in den Arm nehmen oder ihnen einen Kuss auf die Stirn geben. Gleichzeitig verstehe ich vollkommen, dass es Hürden gibt, wenn es darum geht, genau diese Momente fotografisch festzuhalten. Es geht um Vertrauen.

Natürlich spüre ich eine gewisse Frustration. Alles, was ich tun möchte, ist, die echte Verbindung einzufangen – das, was sich tatsächlich zeigt. Keine gestellten Bilder von freiwilligen Helfern und Kindern, sondern die Liebe und Fürsorge, die in diesen Projekten lebendig ist. Unser Ziel ist es ja auch, durch diese Bilder neue Helfer zu gewinnen und mehr Unterstützung zu mobilisieren. Doch um das zu erreichen, muss ich authentisch dokumentieren – nicht das, was die Leute sehen wollen, sondern das, was ist. Wenn du so willst, ist es eine Art Journalismus – aber einer, der nicht die Story in den Mittelpunkt rückt, sondern den Menschen. In seiner Verletzlichkeit, Einfachheit – und Echtheit.

Lissabon ist eine Stadt der Gegensätze.

Die Kontraste hier sind krass. Und trotzdem erlebe ich die Menschen als unglaublich herzlich. Meine Arbeit führt mich vor allem in sozial schwache Gegenden. Man kann es nicht übersehen – leerstehende Häuser, manche halb verfallen. In den letzten Jahrzehnten wurden Sozialwohnprojekte ins Leben gerufen, doch wenn man durch die Hinterhöfe geht, sehen sie oft aus wie Gefängnisse. Fenster und Türen sind mit dicken Gittern gesichert – nicht, um die Menschen drinnen zu halten, sondern um Einbrüche zu verhindern. Es ist bedrückend zu sehen, wie hier gebaut wurde, besonders wenn man bedenkt, dass die Behörden lange nicht verstanden haben, warum es in diesen Vierteln so viel Armut gibt.

Mit Achtsamkeit durch diese Stadt zu gehen, ist essenziell.

Es hilft mir, den Menschen hier mit Mitgefühl zu begegnen – denen, die nicht viel haben und für die es um ganz einfache Dinge geht. Sozialprojekte wie das Afterschool-Programm oder die Unterstützung für junge Mütter mit Babys, die wir vom Impact House aus begleiten, machen hier einen echten Unterschied.

Ehrlich gesagt, jedes Mal, wenn ich hier bin, brauche ich keine lange Erklärung, warum diese Arbeit so wichtig ist. Die Kinder, die von den Freiwilligen betreut werden, sind wundervoll. Sie sprechen teilweise Englisch, sind neugierig, stellen Fragen – nach meinem Namen, meinem Alter, was ich so mache. Es sind ganz normale Kinder. Sie hatten einfach nicht das Glück, in einem sicheren und sozial gerechteren Umfeld aufzuwachsen. Aber darum geht es nicht. Nicht um Mitleid oder Traurigkeit. Sondern darum, sie so zu sehen, wie sie sind. Sie zu unterstützen. Und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.

Fotografieren ist für mich ein Spiegel.

Durch meine Kamera sehe ich, wie Mitgefühl und Achtsamkeit echte Verbindung schaffen – nicht nur zu den Menschen hier, sondern auch zu mir selbst. Ich weiß, dass ich über dieses Thema schon oft geschrieben habe, aber früher waren das Gedanken. Jetzt erlebe ich es – direkt, unvermittelt, mit allen Sinnen.

Was für eine reiche Erfahrung.

In ein paar Stunden geht es wieder los – mit zwei Mädels vom Impact House zum Afterschool-Projekt in Alcântara. Ich liebe dieses Projekt mittlerweile. Und auch wenn ich im Moment noch keine Bilder zeigen kann, hoffe ich, dass meine Worte in deinem Kopf Bilder entstehen lassen. Die Kinder kennen mich inzwischen, sie rufen meinen Namen, wenn sie mich sehen – und ja, ich freue mich auf sie. Auf ihr Lachen, ihr Streiten, ihre grenzenlose Kreativität und manchmal auch auf ihre erstaunliche Aufmüpfigkeit.

Das war’s für heute.

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